Laudatio

von Susanne Spoerel

zur Vernissage "Genähtes Backpapier"

am 19.11.2010, Hemmingen

 

 

 

Liebe Christina, liebe Gäste,

 

 

Genähtes Backpaier ist genähtes Backpapier ist genähtes Backpapier

 

Mit dem Titel einer hier ausgestellten Arbeit möchte ich Dich und Sie recht herzlich begrüßen.

 

Backpapier – das hier nahezu ausschließlich verwendete Material – ist Inspiration, ist Arbeitsprozess, ist Formgebung und Raum, ist Assoziation und bleibt doch Material.

 

Backpapier als Inspiration

 

Das Material, glattes, beschichtetes, naturbraunes Papier, inspirierte die Künstlerin Christina Henselmann aufgrund seiner Qualität durch Zerknüllen, Formen und Schichten Raum zu erzeugen. Das Entstehen von räumlichen Objekten aus dem glatten zweidimensionalen Papier, sowie die Veränderung der Oberfläche, die durch die Knitterfalten immer transparenter und hautähnlicher wurde, begeisterte sie.

 

Backpapier und Arbeitsprozess

 

Die Künstlerin durchzieht das Papier mit Nähten, legt Papierschichten übereinander und rafft diese teilweise zusammen. Sie schafft transparent wirkende Objekte und amorphe Raumgebilde. Bisweilen werden diese ein- und ausgestülpt, mit Reißverschluss versehen, mit schwarzen Großbuchstaben beschrieben oder an den Enden verschnürt.

 

Der Arbeitsprozess ist für Christina Henselmann ein rein intuitives Vorgehen. Während des Arbeitens entstehen Assoziationen zu Prozessen oder Formen in der Natur oder zu alltäglichen Gegenständen. Diese inspirieren die Künstlerin zwar vorübergehend zur weiteren Formfindung, sie werden aber im Verlauf des Arbeitsprozesses wieder ganz losgelassen.

 

Backpapier ist Formgebung und Raum

 

Die hier ausgestellten Objekte sind in ihrer größtenteils geschlossenen, nach außen gewölbten, aufstrebenden Form sowohl raumverdrängend als auch raumumschließend. Sie wirken fragil und sind in ihrer Form leicht veränderbar. Ihre Oberflächen steigern sich von weich- gerundeten, bis zu runzlig- faltigen, gratebildenden Strukturen, die im Licht und Schattenspiel organische Assoziationen hervorrufen können.

 

Verschiede Öffnungen werden geschaffen, die Ihnen, den Betrachtern, Einblicke in die Raumobjekte gewähren. Eigenständige Innenformen werden sichtbar. Dieses innere Leben wird von der Außenform geborgen, durch Reißverschlussnähte verschlossen oder mit mehreren transparent wirkenden Papierlagen umhüllt und bedeckt.

 

Die Präsentation der Objekte hier im Raum erfolgt einzeln, in Addition, in Reihung oder in der Gegenüberstellung.

 

Backpapier und Assoziationen

 

Christina Henselmann schafft zum einen organische Objekte parallel zur Natur. Sie zeugen von Wandlungsprozessen wie Verpuppung, Schlüpfung, Häutung und lassen so Assoziationen in Bezug zur Natur zu. Aufgrund von Farbe und Qualität des Materials wird hier der Eindruck einer zweiten Haut vermittelt. Zum anderen entstehen Objekte, die an alltägliche Handlungen wie Einhüllen, Bedecken und Schichten anknüpfen.

 

Geschichtet, bedeckt und umhüllt wird der Raum oder in Großbuchstaben Geschriebenes. Diese Worte greifen immer wieder das Thema des genähten Backpapiers auf, um Sie, die Betrachter wieder auf das Material zurückzuweisen.

 

Kunst schaffen bedeutet für die Künstlerin immer auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, das sich bewusst werden von Gewohnheiten, die wie dünne Hautschichten die Persönlichkeit bedecken und die es bedeutet aufzublättern, aufzudecken und loszulassen, um Tieferliegendes zu erkennen. Es ist ein sich immer von neuem wiederholendes Bedecken und Enthüllen.

 

Mit ihrer Kunst häutet sich Christina Henselmann von abgestorbenen, zu klein gewordenen Hüllen und legt Schicht um Schicht frei. Sie steht mit ihren Arbeiten ganz in der Tradition einer weiblichen Kunst und thematisiert in ihren fragilen Gebilden veränderbare innere Prozesse.

 

Backpapier ist Backpapier ist Material

 

Christina Henselmann beschreibt ihr Schaffen als ein sich fortdauerndes Lösen von all ihren Bildern und Assoziationen, von ihren inneren Geschichten hin zu Material und Form an sich. Dabei konzentriert sie sich ganz auf Form und Raum und auf das im Moment bewusste Arbeiten mit dem Material. Sie näht, sie zerknüllt und glättet, sie schichtet, rafft und verschnürt Backpapier.

 

 

 

Susanne Spoerel